Ergebnisse des Workshops UMWELTSCHUTZ

anlässlich des BALTIC NGO FORUM St. Petersburg

18-21. April 2002

Die Ostsee ist ein sensitives und empfindliches Ökosystem. Für mehr als 80 Millionen Menschen, die an den Küsten und im Einzugsbereich der Flüsse leben, ist der Erhalt dieses Ökosystems sehr wichtig. Die wesentlichen Gefahren und negativen Trends im Ostseeraum sind bereits sowohl den Regierungen wie auch der Öffentlichkeit bekannt, ihnen wird aber bisher nicht mit ernsthaften Maßnahmen begegnet.

Die Umweltorganisationen (die umweltpolitisch engagierten Nichtregierungsorganisationen) wiesen bereits vor einigen Jahren auf ein Konzept der nachhaltigen Entwicklung hin. Die Haltung der Nichtregierungsorganisationen (englisch: Non-Governmental Organisations – daher NGOs genannt) wurde 1998 präsentiert von der “Koalition für eine Saubere Ostsee” (Coalition Clean Baltic – der ostseeweite Zusammenschluss der Umweltorganisationen, mit Sekretariat in Stockholm) in Form der “Visionen der Umweltbürgerinitiativen für eine nachhaltige Entwicklung der Ostseeregion”.

Daher wurde auch die Initiative der Ostsee-Umweltminister anlässlich ihres Treffens von Saltsjöbaden 1998 begrüßt und, in Kooperation mit den Regierungen, eine AGENDA 21 für den Ostseeraum entwickelt.

Heute allerdings hat dieser groß angelegte AGENDA 21 – Prozess nach Meinung der NGOs an Bedeutung verloren, auch wegen der Verlegung des Sekretariats des Ostseerats (Council of Baltic Sea States – CBSS). Das Thema läßt gegenwärtig politische und finanzielle Unterstützung vermissen. Die NGOs fordern die Ministerpräsidenten der Ostseeanrainerstaaten auf, den AGENDA 21 Prozess wieder mehr zu stärken und die Beteiligung der Minister der einzelnen Sektoren bei der Umsetzung von Aktionsprogrammen abzusichern, auf die man sich bereits geeinigt hatte. Ebenso wichtig ist die Integration von umweltpolitischen Schlußfolgerungen in diese sektoralen Politikbereiche. Die Ministerpräsidenten sollten sicherstellen, dass die jeweils zuständigen Minister inter-sektoralen Austausch und gemeinsame Treffen organisieren, um BALTIC 21 umzusetzen.

In diesem Rahmen ist eine strenge Verpflichtung zu nachhaltiger Entwicklung und einer Sicherstellung einer nachhaltigen Zukunft der Ostsee die Voraussetzung für sensible Planung und gemeinsamer Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen. Die Nichtregierungsorganisationen lehnen keinesfalls wirtschaftliche Entwicklung ab, unterstützen aber einen Weg, der die umweltpolitischen Erkenntnisse voll berücksichtigt.

Es gibt aus Sicht des Umweltschutzes weiterhin viel zu viele “Hot Spots” (Zonen höchster Gefährdung) in der Ostseeregion, die einer Verbesserung auf nationaler oder internationaler Ebene bedürfen.

Die Industrie wirkt erheblich auf Umwelt und Natur der Ostseeregion ein durch Emissionen und Ablagerungen, entstanden durch Herstellungsprozesse oder Produkte, die in Gebrauch sind. Die NGOs rufen zu regionalen Aktionsprogrammen auf, um dem Einwirken von gefährlichen Substanzen auf die Umwelt entgegenzuwirken. Die Ostseestaaten sollten die im Mai 2001 beschlossene “Stockholm Konvention” zu persistenten (nicht abbaubaren) organischen Stoffen so schnell wie möglich umsetzen (nach Angaben des Sekretariats für die Stockholm Konvention in Genf haben von den mitunterzeichnenden Ostseeanrainern bisher nur Schweden und Deutschland Maßnahmen zur Ratifizierung der Konvention unternommen, Estland hat die Konvention noch gar nicht unterzeichnet).

Auf dem Gebiet der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs verursachen die gegenwärtigen Trends des Gebrauchs von fossilen Brennstoffen und Atomenergie kurz- und längerfristige Schäden und Risiken für die Umwelt, die im Gegensatz zu den Anforderungen der Nachhaltigkeit stehen. Hier bedarf es einer gemeinsamen Strategie der Energiepolitik im Ostseeraum, um erneuerbare Energien zu fördern und für Energieeinsparung zu werben. Ein langfristiges Ziel solle eine atomfreie Ostseeregion sein – Auslaufen der Atomenergienutzung bis hin zu einem Verbot des Betriebs von Atomanlagen unterhalb von internationalen Standards, ebenso wie einem Verbot des Transport von Atommüll über die Ostsee oder in der Ostseeregion. Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass die Urangewinnung in der Karelischen Republik gestoppt wird.

Umweltschädlliches Konsumverhalten, speziell in der westlichen Ostseeregion, muss verändert werden. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sollte geweckt und Eigenverantwortlichkeit der Konsumenten und Verbraucher sollte gestärkt werden. Die Regierungen sollten ökonomische Anreize schaffen, um diese Wende im Verbraucherverhalten mit zu unterstützen. Im Zusammenhang mit der Überproduktion von Waren und dem darauf folgenden Massenkonsumverhalten müssen effektive Systeme der Müllvermeidung, des Recycling und des umweltfreundlichen Managements von Stoffrückständen im Ostseeraum etabliert werden.

Die Landschaften und Regionen des Ostseeraums, ganz oder teilweise naturbelassen, beherbergen einen enormen Reichtum an biologischer Vielfalt und sichern damit die ökologische Nachhaltigkeit sowie die Basis für nachhaltige Entwicklung auch im ländlichen Raum – traditionelle Bewirtschaftungsweisen in der Landwirtschaft, Öko-Tourismus usw.

Die Nichtregierungsorganisationen rufen die Regierungen zu verstärkter Zusammenarbeit auf, um ein Netzwerk der geschützten Gebiete für die gesamte Ostseeregion zu entwickeln und zu unterstützen. Es sollten ausreichende finanzielle Ressourcen bereit gestellt werden, um den Schutz von naturnah erhaltenen Landschaften und die Nachhaltigkeit von regionalen Entwicklungsprogrammen zu sichern.

Ungestörte, alte Waldbestände und gut entwickelte Sekundärforsten stehen in der Ostseeregion unter besonderem Nutzungsdruck von einheimischen und internationalen kommerziellen Interessen. Die üblichen Forstpraktiken beinhalten oft Verletzungen internationalen Regelwerks und eines verantwortlichen Managements. Die Nichtregierungsorganisationen rufen auf zum Erhalt der naturnahen Wälder und fordern den sofortigen Stopp gesetzeswidriger Forstpraktiken und des illegalen Holzhandels. Altbestände wie in Grenzregionen Kareliens und der Landenge von Karelien sollten durch die Schaffung grenzüberschreitender Nationalparke geschützt werden, so wie es kürzlich von den Regierungen Finnlands und Russlands vorgeschlagen wurde.

Der Bereich des Verkehrs ist Quelle und Ursache für weit verbreitete Umweltverschmutzung, Verkehrsstaus und von Gesundheitsproblemen. Neue, groß angelegte Investitionen in Schnellstraßen und Autobahnen stehen in scharfem Gegensatz zu den Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels. Die NGOs rufen auf zu gezielten Maßnahmen im Verkehrssektor, besonders um öffentliche Investitionen zu Zukunft verstärkt im Öffentlichen Nahverkehr und den Eisenbahnen tätigen zu können. Wir fordern ebenfalls strengere Richtlinien für effektive Brennstoffnutzung und schnelle Einführung alternativer Brennstoffe.

Erhöhtes Aufkommen im Schiffsverkehr und intensiver Ausbau neuer Häfen, oft in der Nähe von geschützten Naturgebieten, bringt erhebliche Risiken und Schäden in diesen Gebieten und am Ökosystem der Ostsee mit sich. Die Nichtregierungsorganisationen  rufen auf zu sorgfältigerer Planung und verantwortungsvoller Umsetzung der Richtlinien für Umweltverträglichkeitsprüfungen beim Bau und der Gestaltung solcher Hafenanlagen. In allen Phasen der Planungsverfahren sollte auch die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit gesichert sein.

Die Anzahl und der Umfang von Ölverschmutzungen als Konsequenz vermehrtem Öl-Transits über die Ostsee wächst ständig. Die NGOs rufen die Regierungen zu gemeinsamen abgestimmten Maßnahmen auf, um hier vorzubeugen und negative Einflüsse der Ölverarbeitung und des Transport von Öls minimieren zu helfen. Ölförderung in der Ostsee sollte nicht zugelassen werden. Die Nichtregierungsorganisationen begrüßen die Vorschläge, unabhängige internationale Untersuchungen zur Verkehrssicherheit im östlichen Golf von Finnland durchzuführen.

Wasserverschmutzungen verursacht durch Überdüngung in der Landwirtschaft ruft Euthrophierung als ernsthaftes Umweltproblem hervor. Resultat sind verbreitete Algenblüten (übermäßiges Vorkommen von Algen im Wasser), Sauerstoffmangel im Wasser und Fischsterben im Sommer. Dies hat bereits zu erheblichen Änderungen der ökologischen Verhältnisse sowohl in flachen Küstengewässern wie auch in tieferen Ostseebereichen, die für die Fischerei wichtig sind, geführt. Die NGOs fordern die Einführung einer Argrarpolitik, die zu verminderten Nährstoffeinträgen in die Flüsse und in die Ostsee führt.

Weiterhin sollten die Regierungen dafür sorgen, dass alle größeren Städte im Einzugsbereich der Ostsee über moderne Kläranlagen verfügen können, um auch durch diese Maßnahmen punktuelle Verschmutzungen, Sauerstoffmangel im Wasser, Euthrophierung und hygienische Probleme bekämpfen zu helfen.

Überfischung, Nutzung von zerstörerischen Fischereitechniken und Verschmutzung von Laichgebieten verursachen eine Bedrohung der Lebensfähigkeit von Fischpopulationen und beeinträchtigen auch Küstengemeinden, die von der Fischerei leben. Die NGOs rufen zu einer modernen Fischereipolitik auf, die Wachstum und Verbesserung der Fischbestände absichert, insbesondere bei den bereits bedrohten Arten wie Kabeljau (Dorsch), Lachs und Hering.

Ernsthafte Besorgnis wurde in der Öffentlichkeit geäußert dass chemische Munition des 2.Weltkriegs, die in der Ostsee versenkt wurde, die Umwelt beeinträchtigen könnte. Die Nichtregierungsorganisationen rufen dazu auf, Monitoring- und Beobachtungsmaßnahmen wieder aufzunehmen und das Problem ernsthaft im Rahmen der Arbeit der HELSINKI-Kommission (HELCOM) zu behandeln.

Die bereits existierenden internationalen Abkommen und nationale Gesetzgebungen bilden bereits eine gute Basis für den Umwelt- und Naturschutz in der Ostseeregion. Die NGOs stellen aber fest, dass die meisten gegenwärtigen Gefahren für die Umwelt durch den Bruch und die Nichtbeachtung eben dieser Vereinbarungen und Gesetze verursacht werden und rufen zu verstärkter Überwachung und Einhaltung dieser Regelungen auf.

Eine bessere Einbindung der Öffentlichkeit, eine Stärkung – und im Fall der Russischen Föderation sogar eine Neuschaffung von Strukturen der Umweltverwaltung – werden zusammen mit einer effektiveren Anwendung nationaler Umweltgesetzgebung und internationaler Konventionen dringend gebraucht für die Verbesserung der Umweltsituation. Die NGOs rufen die Ministerpräsidenten zur schnellen Inkraftsetzung der folgenden Programme auf:

Eine umfassende Einführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen muss gesichert werden, welche auch die Vorgaben der ESPOO Konvention über grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen mit berücksichtigt. Dies wird entscheidend sein für die Glaubwürdigkeit der Behörden und der Wirtschaft gegenüber der Öffentlichkeit.

Umwelterziehung, Umweltbildung sind Grundvoraussetzungen für eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Vorfeld von Entscheidungsprozessen. Russland hat bisher nicht die AARHUS-Konvention zum Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen unterzeichnet, und noch nicht alle Ostseestaaten haben diese Konvention ratifiziert. Dementsprechend gibt es immer noch viel zu viele Entwicklungsprojekte, insbesondere in Russland, die ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit geplant und umgesetzt werden. Der Öffentlichkeit wird hier bisher keine Möglichkeit gegeben, bei Entscheidungsprozessen mitzuwirken, und daher werden Sorgen und Eingaben der Bevölkerung auch nicht mit berücksichtigt. Die NGOs fordern die volle Umsetzung der AARHUS-Konvention in allen Ostseeanrainerstaaten.

Umweltbewußtsein kann erhöht und verbessert werden durch gemeinsame, koordinierte Anstrengungen und Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen für die Umwelterziehung. Dafür sollten bereits existierende Strukturen ergänzt und neue Initiativen, wie zum Beispiel regionale Umweltbildungszentren, geschaffen werden.

Attentate auf Umweltschutz-AktivistInnen im Zusammenhang mit deren Aktivitäten boten in letzter Zeit Anlass zu spezieller Besorgnis. Die NGOs fordern sorgfältige Untersuchungen aller dieser Fälle und strenge Bestrafung der Schuldigen gemäss den jeweiligen Gesetzgebungen.

Der Trend zu Fortschritten in der nachhaltigen Entwicklung hat nachgelassen. Die Nichtregierungsorganisationen rufen auf zu verstärkter Zusammenarbeit der Regierungen, um regionale Initiativen zu unterstützten, besonders zur Einrichtung einer LOKALEN AGENDA 21. NGOs sollten als gleichberechtigte Partner der Regierungen anerkannt werden, und es muss zufriedenstellende Unterstützung für die Arbeit des Dritten Sektors bereit gestellt werden. Die NGOs sprechen sich für eine verstärkte Verpflichtung für den Aufbau nachhaltig wirtschaftender Gesellschaften aus, um der Ostseeregion zur vollen Entfaltung ihres Potentials zu verhelfen und zu einer Modellregion auch für andere Teile Europas und der Welt werden zu können. Um dies zu erreichen fordern wir die rasche Umsetzung der BALTIC AGENDA 21 und der bereits existierenden Umweltaktionsprogramme auf nationaler und internationaler Ebene.

 

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