Materialien zur Konferenz
”Fluchtweg Ostsee”
16. bis 18. November 2001 in Bad Segeberg organisiert vom "Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein"

(Auszug aus der Veranstaltungsankündigung)

Hintergrund:

Im Zuge von Ost-West-Öffnung und EU-Ost-Erweiterung finden verstärkt zwischenstaatliche Zusammenarbeiten im Ostseeraum statt, die in der Regel wirtschafts- oder sicherheitspolitischen Interessen dienen.

Im Zuge von nationaler Verschärfung und europäischer Harmonisierung des Asyl- und Flüchtlingsrechts werden die östlichen Landgrenzen zu Deutschlands (zu Polen und der Tschechischen Republik) und gleichzeitig die Außengrenzen der EU-Anwärterländer (Polen/Weißrussland) im Osten gegen Flüchtlinge abgeschottet.

In Folge dessen sind Flüchtlinge vermehrt gezwungen, Geld für Flucht-Hilfe ausgeben, die zu Landgrenzen umgehen und gefährlichere Fluchtrouten benutzen. Eine dieser Routen führt über die Ostsee.

Die Hauptroute ist zur Zeit Baltikum–Schweden. Es gibt aber auch Nebenrouten nach Deutschland und einen ”kleinen Grenzverkehr” Polen–Deutschland, zum Teil als Ausweichroute für Flüchtlinge, die auf dem Landweg gescheitert sind.

Die Sicherheitsinstitutionen der Ostseeanrainerstaaten diskutieren das Fluchtproblem in ihrem Zuständigkeitsbereich bisher ausschließlich unter den Überschriften ”organisierte Kriminalität” und ”illegale Migration”. Die Grenzsicherungsstellen der verschiedenen Staaten entwickeln zunehmend effektive Zusammenarbeit (Task Force) bei Zurückweisung, Abschiebungen und Internierungen von aufgegriffenen Flüchtlingen.

Demgegenüber ist die Vernetzung und Zusammenarbeit der NGO’s, der regierungsunabhängigen, kirchlichen oder anderen Flüchtlingshilfe-Organisationen und Initiativen der Ostseeanrainerländer untereinander noch nicht weit entwickelt.

Für Deutschland ist die Flucht über die Ostsee eine spürbar zunehmende Erscheinung. Die ersten Boat People sind aber auch schon an deutschen Ostseestränden an Land gesetzt worden. Die Zahl der auf ihrem Fluchtweg über die Ostsee umgekommenen ist unbekannt. Flüchtlinge kommen versteckt auf Frachtschiffen/in Containern und auf Fähren, einige aber auch auf kleinen Fischerbooten. In der Regel sind sie vom Vertrauen in die Seriösität ihrer Transporteure abhängig. Das deutsche Innenministerium gab am 20. März 2000 die ”illegalen Einreisen” über die Seegrenzen (Nord- und Ostsee) mit 349 (1999) gegenüber 191 (1998) an.

Die Konferenz ”Fluchtweg Ostsee”:

Die Konferenz dient dazu, dem Aspekt der internationalen Fluchtmigration in der Ostseeregion, den vorhandenen politischen Handlungsdefiziten und nicht zuletzt den Opfern öffentliche Aufmerksamkeit und Würdigung zu verschaffen.

Die Konferenz soll national- und zwischenstaatliche Konzepte und Praktiken den Forderungen regierungsunabhängiger Organisationen gegenüberstellen: Frauenhandel zum Zwecke der Prostitution soll effektiv unterbunden werden. Kriminelle Machenschaften und die Überlebensflucht aus Krieg und Verfolgung werden staatlicherseits in der Regel unterschiedslos als ”illegale Migration” bezeichnet und – unter Inkaufnahme erheblicher Risiken für die Betroffenen - bekämpft.

Die Konferenz soll der Vernetzung der deutschen und mit dem Problem der über das Meer stattfindenden Flucht von Menschen regelmäßig befassten Gruppen, Organisationen und der Institutionen sowie dem gegenseitigen Austausch dienen.

Die Konferenz soll der Vernetzung von Flüchtlingssolidaritätsarbeit der Ostseeanrainerländer dienen und projektorientierte Kooperationen anstoßen. Dazu sollen nach Möglichkeit VertreterInnen von Flüchtlingsorganisationen aus den ”Transitländer” Russland, Estland, Litauen, Lettland und Polen eingeladen werden, dazu VertreterInnen aus den ”Zielländern” Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und Deutschland.

Die Konferenz wird Vertreterinnen und Vertretern von Regierungsstellen, von Polizei- und Grenzschutzbehörden mit Repräsentanten der Flüchtlingshilfelobby zusammenführen und miteinander diskutieren lassen.

Wir suchen Kontakt zu interessierten Personen, Gruppen und Organisationen im Ostseeraum, die Interesse am Thema oder an einzelnen Aspekten des Themas haben.

Wir bitten alle, die über Informationen zum Thema Fluchtmigration im Ostseeraum verfügen, uns diese zur Verfügung zu stellen.

E-Mail: baltic.net@frsh.de.

 

(Presseerklärung bei Abschluß der Konferenz)

Konferenz ''Fluchtweg Ostsee'' erfolgreich beendet

Die vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und einem breiten Trägerkreis organisierte Konferenz ''Fluchtweg Ostsee'' ist am Sonntag in der Evangelischen Akademie Nordelbien erfolgreich zuende gegangen. Über 100 TeilnehmerInnen aus allen Ostseeanrainerländern haben in Bad Segeberg drei Tage lang die Aufnahme- und die Integrationsbedingungen für Flüchtlinge in Polen und Russland sowie in den baltischen und skandinavischen Ländern erörtert.

Bei einer der Konferenz vorgeschalteten Exkursion hatten die ausländischen TeilnehmerInnen bei Besuchen in Bundes- und Landesbehörden in Lübeck sowie bei Unterstützungsinitiativen in Hamburg Gelegenheit, sich über die Asylpraxis und Probleme des Flüchtlingsexils in Deutschland zu informieren. Besonderes Interesse fanden bei den KonferenzteilnehmerInnen die bisherigen Überlegungen zur Harmonisierung eines gemeinsamen EU-Rechtes und die in den Ländern sehr unterschiedlichen Formen von Selbstorganisation und Lobbypolitik für Flüchtlinge.

Mit Interesse nahmen die VeranstalterInnen das dringende Bedürfnis der VertreterInnen von Flüchtlingsorganisationen aus den anderen Ostseeanrainerländern zur Kenntnis, sich über die Konferenz hinaus miteinander zu vernetzen und künftig intensiver über Ländergrenzen hinweg zu kooperieren. Angedacht wurde in diesem Zusammenhang die Umsetzung eines EDV-gestützten Netzwerkes von Gruppen und Organisationen der Flüchtlingssolidarität im Ostseeraum.

Im Anschluss an die Konferenz wurde die anliegende Erklärung verabschiedet.

Erklärung

Vertreterinnen und Vertreter von behördlichen und nichtstaatlichen Flüchtlingsorganisationen aus allen Ostseeanrainerländern* haben im Anschluss an die Konferenz ”Fluchtweg Ostsee” am 18. November 2001 in Bad Segeberg die folgende Erklärung verabschiedet und die Intensivierung praktischer Kooperation zwischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus den verschiedenen Ostseeanrainerstaaten vereinbart:

Bürgerkriege, diktatorische Regime oder Säuberungen gegen ethnische und religiöse Minderheiten sind nur einige Gründe, die nicht erst seit Beginn der 90er Jahre Menschen auf die Flucht aus ihrer Heimat treiben. Gleichzeitig verändern sich die Bedingungen an Europas Außengrenzen im Rahmen der Bemühungen um eine Harmonisierung des Asylrechts in der EU und auch im Zuge der EU-Osterweiterung.

Die Osterweiterung der EU hat zur Einführung von Asylstandards in den Beitrittsländern geführt, die den EU-Standards angepasst werden. Es ist Aufgabe der NGO diesen Prozess kritisch zu begleiten und dafür einzutreten, dass sie nicht zu Lasten von humanitären Standards im Flüchtlingsrechts geschieht.

Insbesondere gibt es Handlungsbedarf in den Bereichen Zugang zum Asylverfahren, Familienzusammenführung, Integrationsmaßnahmen, Abschiebehaft und bei der Berücksichtigung der Lage und Bedarfe von unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen. Diese müssen kindgerecht untergebracht werden und sollten ungehinderten Zugang zu Schule und Ausbildung erhalten. Darüber hinaus darf der Ausbau der Grenzkontrollen an den künftigen EU-Außengrenzen nicht dazu führen, dass Flüchtlingen der Zugang zu Schutz vor Verfolgung und Not verwehrt wird. Die Verantwortung für Flüchtlinge muss gerecht verteilt werden und darf nicht zu Lasten der Anwärterstaaten gehen.

Das Engagement der NGO und Initiativen erstreckt sich darüber hinaus auf das Phänomen Frauenhandel. Ziele dieser Arbeit sind u.a. das Eintreten für Opferschutz und Bleiberechtssicherung zur Stabilisierung und Rehabilitierung der Betroffenen in den Zielländern. Im weiteren ist die finanzielle Absicherung der in diesem Bereich tätigen NGO in den Ziel- und Herkunftsländern zu gewährleisten.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kritisieren die in allen Ostseeanrainerstaaten festzustellende Illegalisierung von Flüchtlingen, Flüchtlingsfrauen und MigrantInnen.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen sowohl für die praktische Beratungs- und Unterstützungsarbeit als auch für die politische Lobbyarbeit ist eine grenzüberschreitende Kooperation unabdingbar.

Die in Bad Segeberg versammelten Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen und Initiativen erklären ihre Bereitschaft, den regelmäßigen Austausch über Ländergrenzen hinweg zu intensivieren und auf diesem Wege ein Netzwerk der in der solidarischen Flüchtlingshilfe im Ostseeraum Tätigen zu schaffen.

Bad Segeberg, 18. November 2001

*EU: Dänemark, Deutschland, Finnland, Schweden; EU-Anwärter: Estland, Litauen,Lettland, Polen;Nicht-EU-Mitglieder: Russische Föderation (Oblast Kaliningrad), Norwegen.

Weitere Information:
Astrid Willer/Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. , T. 0431-735 000,
E-Mail: baltic.net@frsh.de;
Internet: http://www.baltic-refugee.net ,
http://www.frsh.de

 

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